Art. 22 Lohn bei Verhinderung des Mitarbeiters

  1. Bei unverschuldeter Verhinderung des Mitarbeiters an der Arbeitsleistung infolge Krankheit, Unfall, Mutterschaft und Militär gelten die Art. 23 ff. Über entsprechende Versicherungsprämien kann der Mitarbeiter jederzeit Aufschluss verlangen.

    In den Fällen von Art. 23 ff. kann der Nettolohn nicht höher ausfallen, als er ohne Arbeitsunfähigkeit ausfallen würde. Kosten für die Verpflegung werden allerdings nur so weit in Abzug gebracht, als sie auch in Anspruch genommen werden.

  2. Liegt ein Fall unverschuldeter Verhinderung des Mitarbeiters vor, der nicht in Art. 23 ff. geregelt ist, hat der Arbeitgeber den Bruttolohn gemäss Art. 324a OR zu bezahlen. Massgebend ist die Berner Skala.

  3. Versicherungsleistungen sind Ende Monat durch den Arbeitgeber zu bezahlen oder, sofern der Versicherungsfall noch nicht abgeschlossen ist, zu bevorschussen.

    Diese Verpflichtung des Arbeitgebers entfällt, wenn die Versicherung die Bezahlung einer Leistung verweigert, weil der Mitarbeiter die Versicherungsbedingungen nicht erfüllt oder weil die rechtlichen Voraussetzungen fehlen. In diesem Fall hat der Arbeitgeber den Lohn nach Art. 324a OR zu bezahlen. Massgebend ist die Berner Skala.

  4. Bei Saisonarbeitsverträgen hat der Arbeitgeber dem Mitarbeiter Auf schluss über die Möglichkeit der Weiterführung der Kranken- und Unfall versicherung sowie der beruflichen Vorsorge zu geben.

Kommentar zu Art. 22

Versicherungspflicht
Die Lohnzahlung während unverschuldeter Verhinderung des Mitarbeiters an der Arbeitsleistung infolge Krankheit, Schwangerschaft und Unfall ist durch den Arbeitgeber zu versichern (vgl. L-GAV Art. 23 und 25). Ferner auferlegt der L-GAV dem Arbeitgeber die Pflicht, den Mitarbeiter während Militär-, Schutz- und Zivilschutzdienst zu entlöhnen (vgl. L-GAV Art. 28). Die Leistungen zugunsten des Mitarbeiters bei entsprechenden Absenzen richten sich nach den Vorgaben des L-GAV.

Bei unverschuldeten Verhinderungen des Mitarbeiters, für die der L-GAV die Lohnzahlungspflicht nicht explizit regelt oder keine Versicherung vorgesehen ist, ist der Arbeitgeber für eine beschränkte Zeit voll lohnzahlungspflichtig. Dies gilt gemäss OR Art. 324a wenn das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen wurde. Diese Norm sieht neben Lohnleistungen für Krankheit, Schwangerschaft, Militärdienst und Unfall, die durch L-GAV Art. 23, 25 und 28 geregelt sind, eine Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers für die Erfüllung gesetzlicher Pflichten und die Ausübung eines öffentlichen Amtes vor. Der unbestimmte Gesetzesbegriff der «beschränkten Zeit» wird mit verschiedenen Skalen konkretisiert, auf welche die Gerichte abstellen. Der L-GAV stellt seit 1. Juli 2005 auf die nachfolgende Berner-Skala ab:

Berner Skala
im 1. Jahr (über 3 Monate)3 Wochen
im 2. Jahr1 Monat
im 3. und 4. Jahr2 Monate
im 5. bis 9. Jahr3 Monate
im 10. bis 14. Jahr4 Monate
im 15. bis 19. Jahr5 Monate
im 20. bis 25. Jahr6 Monate

Selbstverschulden des Mitarbeiters
Ein Verschulden des Mitarbeiters an Krankheit und Unfall wird nicht leichtfertig angenommen. Krankheiten und Unfälle, die auf Fahrlässigkeit des Mitarbeiters zurückzuführen sind, gelten als unverschuldet. Als verschuldet und damit für den Arbeitgeber als nicht lohnzahlungspflichtig gelten Krankheiten und Unfälle, die auf grobes Selbstverschul­den zurückzuführen sind (z.B. Selbstunfall eines alkoholisierten Automobilisten, Gletscherwanderung mit Turnschuhen usw.). Die Verschuldensfrage ist an­hand der konkreten Umstände abzuklären.

Absenzen aufgrund von Schönheitsoperationen, die nicht medizinisch indiziert sind und deren Folgen gelten nicht als unverschuldete Verhinderung des Mitarbeiters an der Arbeitsleistung. Für diese Absenztage ist daher keine Lohnfortzahlung geschuldet.

Im Zusammenhang mit Leistungsverweigerungen und -kürzungen wird auf die entspre­chende Spezialgesetzgebungen (Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung [UVG], Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversiche­rung [KVG] und Bundes­gesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag [VVG]) sowie auf die anwendbaren Versicherungsbedingungen und Leistungsreglemente verwiesen.

Sonderfall Pflege von Angehörigen
Als unverschuldete Verhinderung des Mitarbeiters kann auch die notfallmässige Pflege von Personen gelten, für welche eine Unterstützungspflicht besteht (z. B. Unfälle von Kindern).

Beispiel

Bezahlung einiger arbeitsfreier Tage für eine alleinerziehende Mitarbeiterin, deren Kind erkrankt und das während der Krankheit nicht mehr ins Tagesheim gebracht werden kann. Die Lohnfortzahlungspflicht besteht nur für die Dauer bis ordnungsgemäss eine anderweitige Betreuung des erkrankten Kindes sichergestellt werden kann. Die Pflicht, das erkrankte Kind zu betreuen, ergibt sich aus den einschlägigen Bestimmungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB Art. 276 ff.).

Ausübung eines öffentlichen Amtes
Ebenso hat der Mitarbeiter gemäss OR Art. 324a für die Ausübungen eines öffentlichen Amtes Freizeit zu gut.

Beispiel

Eine Mitarbeiterin ist Mitglied der Vormundschafts- und Fürsorgekommission ihrer Wohnsitzgemeinde. Deren Sitzungen fallen zeitlich mit Arbeitstagen der Mitarbeiterin zusammen. Der Arbeitgeber schuldet der Mitarbeiterin für die sich dadurch ergebenden Absenzen je nach anwendbarer Skala den Lohn. Soweit die Gemeinde den Kommissionsmitgliedern Entschädigungen (z.B. Taggelder) ausrichtet, kann der Arbeitgeber diese anrechnen und sich auf die Bezahlung der Differenz zwischen der Entschädigung und dem vollen Lohn beschränken.

Verhinderung des Arbeitgebers (Annahmeverzug)
Kein Fall von unverschuldeter Arbeitsverhinderung des Mitarbeiters an der Arbeitsleistung im Sinn von L-GAV Art. 22 liegt vor, wenn der Mitarbeiter infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht arbeiten kann oder wenn der Arbeitgeber aus anderen Gründen in Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung gerät. In solchen Fällen (z. B. Betriebsunterbruch infolge eines Brandfalles oder lebensmittelpolizeilich verfügte Betriebsschliessung, Betriebsferien bei nicht ausreichendem individuellem Ferienanspruch) kommt nicht OR Art. 324a, sondern OR Art. 324 zur Anwendung. Diese Norm auferlegt dem Arbeitgeber ohne zeitliche Beschränkung wegen Annahme­verzuges die volle Lohnzahlungspflicht, wobei der Mitarbeiter sich auf seinen Anspruch anrechnen lassen muss, was er wegen Verhinderung an der Arbeitsleistung erspart, durch anderweitige Arbeit erworben oder zu erwerben absichtlich unterlassen hat.

Anders liegt der Fall, wenn der Mitarbeiter z.B. wegen eines Naturereignisses (bspw. Vulkanausbruch Eyjafjallajökull) den Arbeitsweg oder die Heimreise aus den Ferien nicht antreten kann. In diesem Fall ist der Arbeitgeber nicht lohnfortzahlungspflichtig.

Bevorschussung
Taggelder der Krankengeld- (vgl. L-GAV Art. 23) und der Unfallversicherung (vgl.
L-GAV Art. 25) sind, sofern beim Arbeitgeber noch nicht eingegan­gen, am Ende des Monats zu bevorschussen. Die Bevorschussungspflicht entfällt, wenn die Versicherung die Bezahlung einer Leistung verweigert, weil der Mitarbeiter die Versicherungs­bedingungen nicht erfüllt oder weil die rechtlichen Voraussetzungen fehlen.

Versicherung in der Zwischensaison
Werden Mitarbeiter saisonweise beschäftigt, ist ihnen am Ende der Saison bekannt­zugeben, an wen sie sich wenden können, wenn sie die Krankengeld- und Unfall­versicherung sowie die berufliche Vorsorge über die Dauer des Arbeitsverhältnisses hinaus fortführen möchten.

Darüber, wie Versicherungslücken in der Zwischensaison überbrückt werden können, geben die Verbandsversicherungen Auskunft.

Fragen & Antworten

Wir haben die häufigsten Fragen zu diesem Thema für Sie beantwortet.